13. November 2015
Die industrielle Zivilisation und der auf dem materiellen Reichtum aufbauende Sozialstaat haben das Leben des Menschen in einem für frühere Generationen nicht vorstellbaren Ausmaß erleichtert und abgesichert. Es ist ein Prozess in Gang gekommen, den K.Lorenz als die „Verhausschweinung“ des Menschen charakterisiert hat: in restlos abgesicherten Verhältnissen geht das Gefühl für die prinzipielle Gefährdung des menschlichen Daseins verloren.
Der Pilger holt sich dieses Gefühl zurück. Er ist unterwegs, seine – wenn auch zeitlich begrenzte – Lebensform ist die des Nomaden. So sind denn auch die Qualitäten, die er für die Pilgerschaft braucht und die ihm zuwachsen, nomadischer Natur: er muss fähig sein, sich zu orientieren; er muss genügsam sein und ohne Ansprüche an Komfort; er muss in der Lage sein, auf andere zuzugehen und er muss Gefahren richtig einschätzen können.
Abenteuer erlebt der Pilger, wenn er sich dafür öffnet, auch in einem metaphorischen Sinn. Die Bereitschaft, Dinge, Natur und Menschen frisch und unvoreingenommen zu sehen, wächst im Lauf einer Pilgerschaft. Die Wahrnehmung wird schärfer, die Sinne werden geschult und scheinbar Vertrautes erscheint in neuen Perspektiven. „Wenn man Abenteuer in dieser Weise definiert, bedeutet es weniger, tatsächlich aufregende Dinge zu erleben, als vielmehr in jedem Augenblick offen zu sein für das Unerwartete.“ (A.Löhndorf, Anleitung zum Pilgern,S.98)